Samstag, Juli 27, 2024
KonzertMesse

Alles beim Alten und alles ganz neu

Them Changes auf der jazzahead! 2023

Eröffnungsfeier der jazzahead! 2023 in der Messe Bremen. Die Stimmung an diesem 27. April changiert zwischen feierlich und gelöst, auch weil die diesjährige Ausgabe der Veranstaltung eine Besondere ist. Da ist zum Einen der Umstand, dass post-pandemisch nun gar nicht mehr auf Inzidenzen geschielt werden muss. Zum Anderen, und das ist bedeutender, findet nach 17 Jahren ein Wechsel der künstlerischen Leitung der jazzahead! statt.

Peter Schulze und Uli Beckerhof, die freundlichen Gesichter der Jazzmesse – Pioniere, Impulsgeber, Synergisten – machen Platz für Götz Bühler, der künftig als Artistic Advisor geführt wird. Mit der stets positiv auftretenden Sybille Kornitschky bildet er die neue Doppelspitze der jazzahead! 

In kurzen Statements resümieren die Einen über das, was war, und die Anderen über das, was wird. Es bleibt der Eindruck, dass die Weichen für die jazzahead! im besten Einvernehmen gestellt sind und die Zukunft dieser für die Branche bedeutenden Messe gut aufgegleist ist.

Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte sprach Grußworte und hob die Bedeutung der Veranstaltung hervor, musikalisch wurde sie mit Künstlern wie Till Brönner im Duo mit Dieter Ilg zelebriert. Weiters waren die beiden Pianistinnen Romy Camerun und Marialy Pacheco zu hören, sowie das Silvan Strauss Duo feat. Lisa Wulff.


Showcases  

Gute Tradition auf der jazzahead! sind die Showcases. 36 Acts an 3 Tagen, 3 Bühnen, jeweils 30 Minuten Zeit: Das ist jede Menge Musik und jede Menge Bewegung zwischen dem Schlachthof mit seiner Bühne in der Kesselhalle und den beiden Stages in Halle 7. Wer alles mitnimmt, toppt locker die 10.000 Schritte, die der Gesundheit so zuträglich sein sollen. Ganz gewiss gesundheitsfördernd ist auch das, was musikalisch geboten war: Hier sind einige Konzertberichte.

Donnerstag, 27. April 2023    

Andromeda Mega Express Orchestra

Das vielköpfige Ensemble entwickelt subtil-verwobene Klangwelten, die sich in langen Bögen aus übereinander geschichteten Lines, Kürzeln, Figuren ständig verändernd entwickeln. Pulsierend-flirrende Beats auf den Becken treffen auf eine Wah-Gitarre, die Anleihen bei Wah Wah Watson nimmt, das Vibraphon zelebriert die klassische Improvisationskunst der Meister dieses Instruments, im Hintergrund liefern die Bläser spannend-dissonante Voicings, eine gestopfte Trompete löst sich solistisch für einen Moment aus dem Soundgefüge. Mitunter entsteht eine sich steigernde Unruhe, die dann plötzlich explodiert. Dies alles ist rhythmisch anspruchsvoll, fantastisch arrangiert und wer mag, kann sich an hier und dort an Gil Evans, Bitches Brew und Terry Ryley erinnert fühlen, was aber zur Verortung dieser Musik bei weitem nicht ausreicht. Mega aber ist das, was dieses Ensemble auf die Bühne stellt, allemal.

Daniel Glatzel (cl, ts, a-git, comp)
Laure Mourot (fl)
Oliver Roth (fl)
Vincent Bababoutilabo (fl)
Johannes Böhmer (tpt)
Andrej Ugoljew (tb)
Anna Viechtl (harp)
Taiko Saito (vib, percus)
Kalle Zeier (el-g)
Matthias Pichler (db)
Marius Wankel (dr)

Ana Carla Maza

Die Kubanerin am Cello – feuerrotes Kleid, Blüte im Haar – liefert einen gefühlvoll-leidenschaftlichen Auftritt ab. Vom bisweilen melodramatisch wirkenden Gestus der Bandleaderin und Chanteuse darf man sich aber nicht hinters Licht führen lassen. Ana Carla Maza ist nicht nur ausdrucksstarke Sängerin. Sie ist auch eine mit allen Wassern gewaschene Instrumentalistin, die das klangliche Spektrum des Cellos sehr beeindruckend beherrscht: gezupft, gestrichen, mit akkordischem Spiel und versierten Solopassagen. 

Die Band agiert rhythmisch expressiv und bringt feinste Latin-Music zu Gehör. Ganz große Freude: Das feurige Solo von Luis Guerra an den Congas. 

Ana Carla Maza (clo, voc)
Norman Peplow (p)
Luis Guerra (percs)
Marc Ayza (dr)

Schntzl

Dichte Bassdrumkaskaden wummern dem Autor beim Betreten des Schlachthofs entgegen. Der Blick auf die Bühne dann ist vielversprechend. Denn bei Schntzl sieht es aus, als hätte jemand die Spielzeugkiste im Kinderzimmer ausgeschüttet. Es versammelt sich allerhand Gerät und kilometerweise Kabel nicht nur beim Drummer Casper Van De Velde, sondern auch bei Keyboarder Hendrik Lasure. So konsequent, wie sich Schntzl den Vokalen im Bandnamen verweigern, so konsequent vermeiden sie Hörgewohntes. Lasure etwa setzt kurze Pattern, die als sich repetive Wiedergänger zwischen Van De Veldes aberwitziges Spiel schlängeln. Dieser sampelt sich on the Fly kleine Snipets, unter anderem mittels eines ins Set integrierten (!) Vinyldrehers, während die Snaredrum mit wechselnden Toppings (Radkappe…) versehen wird. Daneben kommen auch Ballhupen und Tischtennisbälle zum Einsatz. Heiterkeit allenthalben. Ein dekonstruktivistisches, provokatives, hochkreatives Vergnügen und extrem unterhaltsam, vom Publikum sehr goutiert!

Casper Van De Velde (dr, elec)
Hendrik Lasure (p, elec)

Mozes & Kaltenecker

Schon bevor man Halle 7.2 betritt, hört man die breiten Soundpads, die dicken Basspatterns und den raunenden Gesang von Mozes & Kaltenecker. Das Duo aus Ungarn braucht nur wenig Platz auf der Bühne, entfaltet aber eine erstaunlich üppige musikalische Präsenz. Ihre Musik ist eher ruhig und entfaltet sich langsam. Nichtsdestotrotz kann sie sich aber sehr dynamisch entwickeln: Kaltenecker generiert dann packend-zerrende Sounds aus seinen Chips, die Mozes mit Wechseln ins hohe Register toppt. Eigenwillig ist das alles, und hörenswert allemal.

Tamara Mózes (voc)
Zsolt Kaltenecker (keys, fx)

Freitag, 28. April 2023

Amaro Freitas

Eigentlich müsste aus dem Flügel binnen kürzester Frist üppigstes Grün sprießen. Amaro Freitas, experimentierfreudiger Klangexplorateur, schiebt die altehrwürdige Klangkiste eigenhändig in den brasilsianischen Regenwald und entlockt ihr nie zuvor gehörte Töne. Die teilweise präparierten Saiten produzieren trockene Perkussionspatterns, die Maraca wird im Inneren des Flügels eingesetzt, ein tonnenschwer lastendes Ostinato mit der linken Hand setzt ein: Es sind große Bilder, die der Brasilianer malt, fallweise unterstützt durch Sampletechnik, die es ihm ermöglicht, sich selbst auf der Flöte zu begleiten. 30 Minuten sind schnell vorüber, leider. Denn der Verfasser hätte sich gern noch weiter in Amaro Freitas faszinierender Welt verloren.

Amaro Freitas (p)

Josh Meader Trio

Guitar Thunder from Down Under: Sorry, der Reim musste sein. Denn wenn auch das Trio des Gitarristen ordentlich Gas gibt, gibt es mehr als nur auf die Zwölf. 

Josh Meader kommt ohne Bassist, den Part übernimmt Matt Thomson souverän an den Keys mit. Zu Gehör kommt ein druckvoll-dichtes Klanggeschehen in bester Fusiontradition. Die Vamps haben Saft und Kraft: Drummer Alex Hirlian weiss, wie man den Groove buchstabiert. Josh Meader besticht durch virtuoses und farbiges Spiel, kann ganz schön Tempo machen und produziert schöne Chord-Melody-Passagen. Fesselnd, das Ganze! 

Joshua Meader (g)
Matt Thomson (p, synths, b)
Alex Hirlian (dr)

Samstag, 29. April 2023

Jussi Reijonen

Ein frei im Raum schwebender Akkord eröffnet das Showcase von Jussi Reijonen. Gleich vorab: So wenig Ego war selten. Der Gitarrist und Bandleader stellt seinen Ensemble-Sound in den Vordergrund, so farbig, extraordinär und individuell wie der Lebenslauf dieses Musikers. Geboren am Polarkreis, gelebt u.a. in Nordafrika und dem Nahen Osten, hat er offenbar einiges an Musiktraditionen internalisiert, um es geschüttelt und gerührt wieder rauszulassen. Das gelingt. Bei eher moderaten Tempi bauen sich die Stücke langsam auf. Klänge und Melodien haben Raum, um zu wirken, in Dialog miteinander zu treten, sich zu verdichten und sich dramatisch zu steigern. Reijonen malt große Bilder, das lässt an die landschaftlichen Weiten denken, die er erfahren hat: Machen Tundra und Wüste auf gleiche Weise melancholisch? Wie auch immer es ist: Dies ist starke Musik von einem so fantastisch wie ungewöhnlich zusammengesetzten Ensemble und einem Gitarrist als Leader, von dem noch einiges zu erwarten ist. 

Jussi Reijonen (fretted/fretless g, Arabic oud)
Alistair Payne (tpt)
Bulut Gülen (tb)
Layth Sidiq (vl)
Naseem Alatrash (clo)
Maxim Lubarsky (p)
Kyle Miles (acoustic/fretless b)
Kan Yanabe (percuss)
Vancil Cooper (dr)

Malstrom

Fast rattern die Synapsen im eigenen Hirnkasten so laut wie die Sounds aus der PA, so fordert Malstroms Musik die Zuhörenden heraus. Das Trio verwurstet dicke Metalbretter, Punk, Free-Sax-Eskapaden, Fusionvamps und – auch das – zärtliche Themen mit Raffinesse und Präzision. Gitarrist Axel Zajac weiss recht beherzt in die Saiten zu greifen und ist auch für die Basstöne zuständig, Saxofonspieler Florian Walter hupt sich die Seele aus dem Leib und sorgt mit seinem Auftritt in Socken für einen Hauch von Gemütlichkeit. An den Trommeln hält Jo Beyer den Laden zusammen, und all das hat auf den Autor einen Effekt wie ein Workout in der Muckibude: Strengt an, aber hinterher fühlt man sich geil. Fand auch das Publikum: Frenetischer Applaus nach 30 ereignisreichen Minuten.

Florian Walter (sax)
Axel Zajac (g)
Jo Beyer (dr)


Alle Fotos: Rainer Ortag, jazzreportagen.com